(nach Franz Wendtner)
Im Verlauf schwerer, langwieriger oder chronischer Erkrankungen und den damit einhergehenden Auswirkungen auf das körperliche, psychische und soziale Leben der Patienten wird ein angemessener Umgang mit der Erkrankung und ihren Folgen – die Krankheitsbewältigung – entscheidend für die Lebensqualität.
Was ist Krankheitsbewältigung?
Eine sehr treffende Definition versteht unter Krankheitsbewältigung – auch Krankheitsverarbeitung oder "Coping" (von englisch: to cope = fertig werden mit etwas) "das Bemühen, bereits bestehende oder erwartete Belastung durch die Krankheit innerpsychisch (emotional, kognitiv) oder durch zielgerichtetes Handeln aufzufangen, auszugleichen, zu meistern oder zu verarbeiten".
Nun erfolgt die Bewältigung der Probleme und Veränderungen, welche eine Krankheit mit sich bringt, aber nicht auf einmal, sondern ist ein prozesshaftes Geschehen, das sich sowohl in zeitlich und
inhaltlich unterscheidbare Verarbeitungsmodi, als auch unterschiedliche Stile differenzieren lässt.
Krisen-/Krankheitsbewältigung
Jede schwere Erkrankung stellt eine temporär krisenhaft erlebte Zeit im Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen dar.
Ihre Bewältigung in eine regelhafte Abfolge zu gliedern, ist nicht möglich, da die einzelnen Phasen in der Regel nicht schrittweise aufeinander folgen, sondern einander überspringen, sich
abwechseln, sich wiederholen können oder auch parallel zueinander laufen.
Daher ist das folgende Phasenmodell als eine Art "Roter Faden" durch den Verlauf einer Erkrankung zu verstehen, der ein Verständnis der Krankheitsverarbeitung erleichtern soll, nicht als
Fahrplan.
1. Phase: Schock/Verleugnung
Die Konfrontation mit der Diagnose einer schweren Erkrankung, die womöglich mit körperlichen Funktionseinbußen und Schmerzen einher geht und einen sich verschlimmernden Verlauf erwarten lässt,
führt häufig zu einem "Sturz aus der Wirklichkeit", zu einem Schock, zu Unruhe und Angst.
Kognitive (intellektuelle) Fähigkeiten zeigen sich dann oft (vorübergehend) eingeschränkt. Häufig wird versucht, die Bedrohung durch die Diagnose mittels Verleugnung zu reduzieren.
Dieses "Nicht-wahrhaben-wollen" hat eine Pufferwirkung, die es dem Patienten günstigenfalls ermöglicht, die Tatsache, wirklich krank zu sein, nach und nach annehmen zu können.
Es kann aber auch zu unrealistischen Verhaltensweisen kommen wie: Glauben an eine Fehldiagnose oder Verwechslung bis hin zur Verzögerung oder sogar Verweigerung der notwendigen Behandlung. In
dieser Phase brauchen die Patienten vor allem menschliche Wärme, Verständnis und Verlässlichkeit in menschlichen Beziehungen.
2. Phase: Aggression
"Warum gerade ich?" Die Patienten sind wütend, gekränkt und enttäuscht über den Einbruch der Krankheit in ihr Leben, sie hadern mit Gott und der Welt. Oft wird diese Wut und Aggression nicht offen geäußert, sondern unbewusst auf die Bezugsperson (Familie, Pflegepersonen ...) projiziert, was sich dann durchaus in Form von Vorwürfen und Kritik – sogar beleidigend – äußern kann. Die Patienten erscheinen häufig ungeduldig, gereizt, ungerecht und uneinsichtig.
Wichtig – vor allem für die Angehörigen – ist jetzt, dieses Verhalten nicht persönlich zu nehmen, denn die Aggression der Patienten gilt im Grunde der Krankheit, nicht ihnen.
Die Patienten brauchen jetzt trotz des ablehnenden Verhaltens Geduld und ein kontinuierlich aufrechterhaltenes Kommunikationsangebot.
"Was bin ich noch wert?" Durch die vielfach mit der Erkrankung verbundene zunehmende Funktionseinschränkung von Gliedmaßen, durch Schmerzen, Rollenverluste (z. B. als Familienversorger), durch Veränderungen des Körperbildes etc. kommt es zu einem Einbruch des Selbstwertgefühls bis hin zu einer existentiellen Verzweiflung der Patienten. Ihre Verletzlichkeit hat zugenommen.
Jetzt scheinen die Patienten ständig Hilfe zu fordern, sind aber nicht in der Lage, diese auch anzunehmen. Das frustriert – und somit besteht die Gefahr eines "gekränkten Rückzugs" seitens der
Familie. Aber gerade jetzt brauchen die Patienten eine kontinuierlich aufrechterhaltene Beziehung, so dass sie spüren können, dass ihre Depressivität als Reaktion auf die Erkrankung verstanden
und auch akzeptiert wird.
4. Phase: Verhandeln
In dieser Phase versuchen die Patienten durch das Erbringen von Opfern (Wallfahrten, Spenden, Hinwendung zu unbewiesenen Behandlungsmethoden und Aufbringen großer Geldsummen dafür etc.) einen "Handel mit dem Schicksal" zu schließen und dieses Schicksal dadurch hinauszuzögern, abzuwenden.
5. Phase: Akzeptanz
In dieser Phase der Krankheitsverarbeitung haben die Patienten ihre Erkrankung angenommen, neue Rollendefinitionen für sich gefunden und somit auch ihren Platz im Leben wiedergefunden.
Leider ist das Erreichen dieser Phase nicht selbstverständlich, sie wird nicht immer erlangt. Der zeitliche Verlauf der Bewältigung einer Erkrankung sowie die Wichtigkeit und Dauer der einzelnen
Phasen sind eng an die Persönlichkeit des Patienten, seine Erfahrungen im Umgang mit Krisen, seine Erwartungen und an sein soziales Umfeld gebunden. Sie prägen entscheidend den Bewältigungsstil
(also die Grundausrichtung der Krankheitsbewältigung) mit.
Bewältigungs-Stile
Die von verschiedenen Wissenschaftlern mit unterschiedlichen Schwerpunkten untersuchten Ausrichtungen der Krankheitsbewältigung lassen sich komprimiert in vier Bewältigungs-Stilen beschreiben:
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Verleugnender Bewältigungsstil
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Sinnsuchender Bewältigungsstil
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Aktiver, zupackender Bewältigungsstil
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Suche nach sozialer Einbindung, sozialer Unterstützung
1. Verleugnender Bewältigungsstil
Der zuerst angeführte Bewältigungsstil, der Verleugnung, Vermeidung und Ablenkung als führende Strategien nutzt, findet sich verbreitet auch schon im Vorfeld der Erkrankung. Er äußert sich in einem verleugnenden, abwehrenden Umgang mit Schmerzen, Unbehagen, Krankheitsanzeichen und Hinweisen.
Man geht nicht zum Arzt, denn "...das vergeht schon wieder. Man darf nicht auf jede Kleinigkeit achten! Ich habe keine Zeit für jedes Wehwehchen! usw."
Diese an und für sich sehr positive Einstellung kann sich am Beginn einer Krankheit als problematisch herausstellen, da sie das Erkennen und wirksame Behandeln des Problems in seiner Frühphase
verhindert. Dasselbe gilt beim Auftreten von Rückfällen.
Allerdings erleichtert ein angemessener Umgang mit solchen Verhaltensweisen im Verlauf der Erkrankung die auftretenden Belastungen durch die Grundhaltung "Ich lasse mich nicht unterkriegen!" und
führt zu einer besseren psychischen Befindlichkeit und zur Hinwendung zu nicht krankheitsbezogenem Verhalten.
Alltag, Arbeit, Freizeit und Partnerschaft werden so "normal" wie möglich gelebt, krankheitsbezogene Belastungen so weit als möglich ausgeblendet. So wird das oft berichtete Gefühl des
Ausgeliefertseins und der Hilflosigkeit von Anfang an reduziert und die Lebensqualität gesteigert.
2. Sinnsuchender Bewältigungsstil
Dieser Bewältigungsstil zeichnet sich durch Grübeln und die Suche nach einem Sinn, einem Inhalt, der "Botschaft" der Erkrankung aus, sowie durch die Frage nach Schuld und Strafe.
Antworten auf diese Fragen und das Finden eines Sinns und von Zusammenhängen sind überwiegend vom Glaubenssystem und den Überzeugungen der Betroffenen abhängig und daher notwendigerweise
subjektiv. Sie sind oftmals die "Direttissima" (der schnellste Weg) in die Depression und Resignation. Das kann diesen Bewältigungsstil gefährlich machen.
Am zielführendsten kann es in diesem Kontext sein, die Erkrankung als eine Lebenskrise zu begreifen und den bisherigen Lebensstil und das bisherige Selbstverständnis zu hinterfragen, verbunden
mit der Bereitschaft, gegebenenfalls seine bisherige Lebenssicht und Lebensweise zu ändern. Mögliche Fragen sind: "Habe ich mir selbst genug Raum gelassen? Habe ich nur gearbeitet und eigene
Bedürfnisse unterdrückt? War ich nur für andere da und habe mich selbst vergessen? Habe ich alles zu genau genommen? Wie ist das Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit?"
Im übrigen kann man aus der Religion, dem Glauben viel Kraft und Trost schöpfen!
3. Aktiver, zupackender Bewältigungsstil
Dieser Bewältigungsstil zeichnet sich dadurch aus, dass der Betroffene die Krankheit als bewältigbare Herausforderung ansieht und sich problemorientiert und informiert mit seiner Krankheit auseinandersetzt. Er gibt nicht auf, sondern sucht und findet Möglichkeiten, sein Leben selbst zu gestalten. Er achtet darauf, dass er die Krankheit und ihre Auswirkung auf sein Leben beherrscht und nicht umgekehrt.
Das bedeutet durchaus eine Änderung des bisherigen Lebensstils und Selbstverständnisses und eine Änderung im Umgang mit Anderen. Das heißt z. B. auch, sich mit dem Arzt als mündiger Patient
zusammenzutun und mit ihm zusammen nach Lösungen zu suchen. Das bedeutet ebenfalls, sich auch mit anderen als ausschließlich schulmedizinischen Heilweisen und Wegen
auseinanderzusetzen und eigenverantwortlich Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung, und die Lebensqualität zu nehmen.
4. Suche nach sozialer Einbindung und Unterstützung
Als vierter, überaus wichtiger und wirksamer Bewältigungsstil ist die Suche nach sozialer Einbindung und sozialer Unterstützung anzuführen.
Wir alle leben in sozialen Netzwerken d. h. wir stehen mit anderen Menschen in Kontakt und sozialem Austausch. Der Mensch ist ein soziales Wesen und braucht "die Anderen". Wesentliche Bedürfnisse
wie: dazuzugehören, sich aussprechen zu können, Rat zu erhalten, gebraucht zu werden etc. lassen sich nur in der Begegnung mit dem Du, mit anderen Menschen, befriedigen.
Das macht soziale Kontakte gerade im Krankheitsfall besonders wichtig. Jetzt können Nachbarn, Freunde und Arbeitskollegen "soziale Unterstützung" geben, dem Patienten und seinen Angehörigen
beistehen, ihnen unter die Arme greifen z. B. durch Zuhören, durch das Abnehmen von Wegen (Einkäufen, Erledigungen etc.) und Arbeit.
Diese "soziale Unterstützung" ist aber nicht unbedingt so ohne weiteres zu erhalten. Wenn man sich zu "hilflos" präsentiert ("Es ist so schlimm, ich schaffe das wirklich nicht!") oder umgekehrt
zu "stark" ("Kein Problem! Ich komme schon allein zurecht"), wird man eher allein dastehen. Zeigt man dagegen, daß die Belastung durch die Erkrankung zwar sehr hoch ist, man aber die
Verantwortung für die Bewältigung dieser Belastung in erster Linie selbst übernimmt, kann man soziale Unterstützung in der Regel nicht nur mobilisieren, sie wird sogar gerne gegeben.
Lebensqualität
Es liegt auf der Hand, dass Bewältigungsphasen und der Bewältigungsstil einen großen Einfluss auf den Alltag, die Partnerschaft, die Sexualität und damit auf die Lebensqualität insgesamt
haben.
Weil dieser Einfluss ganz enorme Ausprägungen erreichen kann, ist es wichtig, miteinander zu reden – für Betroffene und Angehörige.
Man neigt als Patient dazu, sich in Zeiten, in denen die Erkrankung stärker spürbar wird (Wetter, Krankheitsschub), zusammenzunehmen, um den Partner, die Familie nicht stärker als unbedingt nötig
zu belasten. Partner bemerken das in der Regel und bemühen sich häufig, mehr Rücksicht zu nehmen, ohne das ausdrücklich anzusprechen. Man schont sich gegenseitig. Eine scheinbar bewährte
Strategie, aber auch eine Quelle gewaltiger Missverständnisse! Denn wenn man nicht miteinander redet, schluckt man das eine oder andere – bis der berühmte Tropfen das "Fass zum Überlaufen"
bringt.
Wenn man Liebe, Angst, Kummer, Sorgen, Groll nicht mitteilen darf, weil man fürchtet, den Partner zu kränken, dann entladen sich diese Emotionen irgendwann explosiv und verletzen, wo es nicht
sein müsste.
Abgesehen davon pendelt ein gesundes Gefühlsleben sowieso zwischen Höhen und Tiefen – die Ausprägungen sind unter Belastung oft nur stärker.
Wenn es nicht möglich ist, miteinander zu reden, kann es sinnvoll sein, einen Psychologen oder Psychotherapeuten aufzusuchen. Oft lassen sich in wenigen Beratungsgesprächen Missverständnisse,
ungeeignetes Kommunikationsverhalten und ähnliche Probleme klären oder zumindest Wege finden, damit umzugehen.
Es gibt verschiedene Methoden in der Psychotherapie, die helfen können, im Zuge einer Erkrankung deutlich gewordene zwischenmenschliche Probleme in den Griff zu bekommen. Entsprechende Beratung,
welche Therapie im Einzelfall die richtige ist, erhält man z. B. bei den Krankenkassen.
Depressionen, Hilflosigkeit, Schmerzen etc. werden vielfach durch die Aktivierung eigener Fähigkeiten bewältigbar. Denn psychologische oder psychotherapeutische Arbeit ist in erster Linie "Hilfe
zur Selbsthilfe".
Vor allem bei Schmerzen haben sich Entspannung, Visualisierung (bildhafte Vorstellungen) und Imagination (Wahrnehmung unbeabsichtigter innerer Bilder) als hilfreiche eigene Ressourcen bewährt.
Entspannung und Visualisierung sind relativ einfach zu erlernen, wirksam und selbständig durchführbar.
Imagination – der Umgang mit inneren Bildern – sollte jedoch in Zusammenarbeit mit einem Psychotherapeuten durchgeführt werden, da sie oft seelische Ursachen und Probleme aufdecken und
konkretisieren und dies Laien oft überfordert.
Wie immer das Problem gelagert sein mag: es gilt, Körper, Geist und Seele optimal zu unterstützen, um ein möglichst zufriedenstellendes Leben führen zu können. Mit anderen Worten:
Warum professionelle Unterstützung zur Krankheitsbewältigung?
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass der Umgang mit einer Erkrankung (z.B. einer chronischen Erkrankung oder Krebs) sich auf den Krankheitsverlauf auswirkt. Bei chronischen Erkrankungen weiß
man, dass Intensität, Dauer und Intervall von Schüben geringer wird, wenn es einem gelingt, die Erkrankung anzunehmen - was sich leicht sagt. Wer im Gegensatz dazu mit seiner Erkrankung hadert,
im Sinne von "Nicht-haben-wollen" dagegen ankämpft oder sie schlicht ignoriert, läuft Gefahr, öfter, längere und intensivere Schübe zu haben.
Der Umgang mit der Erkrankung wirkt sich also auf die Lebensqualität aus. Wenn die Krankheitsbewältigung nicht oder nur schlecht gelingt, kann professionelle Hilfe von außen durch einen
Klinischen Psychologen sehr hilfreich sein. Man kann so lernen, die Erkrankung zu verarbeiten, sie anzunehmen, sie in sein Leben zu integrieren. Und mit ihr zu leben, anstatt gegen sie. Das ist
einer der Gründe, warum klinisch-psychologische Behandlung auch bei somatischen Erkrankungen sehr hilfreich sein kann.
Nähere Infos zu meinem Behandlungsangebot findest Du hier.
Quelle: Vortrag bei den vom
Forschungsinstitut Gastein-Tauernregion, der Universität Salzburg und dem Österreichischen Schmerzinstitut veranstalteten Sommergesprächen 1996,
wiedergegeben im Mitteilungsblatt der Österreichischen Vereinigung Morbus Bechterew Nr. 55 (Dezember 1997) S. 7–12
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